Nachhaltigkeit geht heute weit über Umweltschutz hinaus. Sprecher der Geschäftsführung von Grossmann & Berger Andreas Rehberg führt im Gespräch mit der G&B-Pressestelle aus, welche Rolle die weitgefasste Nachhaltigkeitsdefinition im Rahmen der ESG-Kriterien spielt und welche Schwierigkeiten sich daraus aktuell ergeben.
Das ‚G‘ der ESG-Kriterien steht für ‚Governance‘. Was haben wir uns darunter vorzustellen?
Andreas Rehberg: Es geht um verantwortungsvolle ‚Organisationsführung‘. Darum, wie transparent Unternehmen ihre Geschäftsbeziehungen zu anderen Firmen, Mitarbeitern und Lieferanten gestalten. Das Kriterium bezieht sich also nicht nur punktuell auf eine Institution, sondern auf deren gesamtes Umfeld.
Um welche Maßnahmen geht es konkret?
Andreas Rehberg: Dass sich Unternehmen im gesetzlichen Rahmen bewegen beispielsweise, wobei das heute angesichts von Compliance-Richtlinien eigentlich selbstverständlich sein sollte. Dass sie bestimmten Standards und Richtlinien folgen, Investoren etwa den UN Principles for Responsible Investments oder börsennotierte Firmen dem Deutschen Corporate Governance Kodex. Oder dass Firmen ihre Steuerungs-, Kontroll-, Besetzungs- und Vergütungsprozesse klar und einsehbar definiert haben.
Können Sie uns Beispiele für die Immobilienwirtschaft geben?
Andreas Rehberg: Gern. Für uns Immobilienmakler bedeutet das ‚G‘ beispielsweise, gemäß dem Geldwäschegesetz bei jeder Transaktion die Identität des Käufers zu überprüfen. Investoren können das ‚G‘ im Rahmen ihrer nachhaltigen Anlagestrategie durch ein Unterzeichnen der Principles for Responsible Investments oder anderer Statuten dokumentieren. Bauträger können das ‚G‘ umsetzen, indem sie mit Subunternehmen zusammenarbeiten, die Menschenrechte und Tarife einhalten, oder ihr Material aus der eigenen Region beziehen. Oder Mittel über das Projektbudget hinaus bereitstellen, um auszuprobieren, welche Nachhaltigkeitsmaßnahmen funktionieren und welche dauerhaften Effekte sie erzielen.
Was hat ‚Governance‘ generell mit Nachhaltigkeit zu tun?
Andreas Rehberg: Auf den ersten Blick wenig. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass sich besonders komplexe Prozesse nur mit Gesetzen und Regularien anhaltend ändern lassen. Dafür braucht es natürlich auch eine andere Unternehmensführung – und genau hierauf nimmt das ‚G‘ in den ESG-Kriterien Einfluss.
Was macht die Umsetzung des ‚G‘ aktuell schwierig?
Andreas Rehberg: Die Kriterien der ESG-Taxonomie sind noch gar nicht verbindlich und detailliert ausgearbeitet. Bedeutet: Alle Unternehmen machen etwas, aber alle machen es anders. Vor dem Hintergrund, dass bis 2030 alle neuen Gebäude CO2-neutral sein sollen und in Deutschland bis 2045 auch alle bereits gebauten, ist das natürlich hochgradig unbefriedigend. Dazu kommt, dass auch noch nicht alle Maßnahmen abschließend wissenschaftlich erforscht und bewertet sind.
Was bedeutet das für die Immobilienbranche?
Andreas Rehberg: Es bedeutet, dass auch abgesehen von Pandemie und Krieg auf uns ein extremes Jahrzehnt zukommt. Das allen Akteuren ein Höchstmaß an Flexibilität und langem Atem abverlangen wird. Und die Fähigkeit zu rascher Anpassung voraussetzt. Nur, wer seine Prozesse wirklich kennt und im Griff hat, wird bei diesem Tempo mithalten können.